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- 17.05.202519:00UhrDIE LETZTE ÜBERFAHRTMünchenSeidlvilla Seidlvilla, Mühsam-Saal
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DIE LETZTE ÜBERFAHRT
In d-Moll auf dem Weg ins Jenseits
Collage von links: Anthony Sintow-Behrens, Naoe Sasaki, Louis Mühlbauer, Dmitrij Romanov.
Die stärkste historisch gewachsene Konnotation im Reich der Tonarten fällt wohl auf d-Moll: die Todestonart. Wie so häufig steht auch hinter der Tradition dieser Tonart der musikalische Urvater Johann Sebastian Bach. Als seine Frau Maria Barbara im Jahr 1720 stirbt, stürzt sich Bach in die Arbeit an seiner berühmten Ciaccona, dem Schlusssatz seiner zweiten Partita für Solovioline, als musikalischen Grabstein für seine verstorbene Gattin. Die 32 Variationen dieses Werkes, das der Virtuose Ferruccio Busoni zwischen 1892 und 1917 fulminant für Soloklavier bearbeiten wird, stellen eine Gebetsmühle dar, im Zuge derer Bach seiner tiefsten Trauer auf herzergreifendste Weise Ausdruck verleiht und seinen Verlust verarbeitet.
Auch im Werk Sergej Rachmaninows spielt die Verarbeitung von Verlusterfahrungen eine große Rolle. Nicht der Verlust eines geliebten Menschen, sondern der seiner geliebten Heimat, in die er nach Migration in die USA im Zuge der Oktoberrevolution zu Lebzeiten nie wieder zurückkehren wird, steht im Zentrum der Geisteswelt Rachmaninows. Auch wenn er nostalgisch zurück in den Schoß „Mütterchen Russlands“ will, dreht sich die Welt um ihn weiter und kompositorische Paradigmen verändern sich, sodass Rachmaninow hinter den umfangreichen musikalischen Neuerungen eines Arnold Schönberg oder Igor Strawinksy seiner Zeit zurückbleibt. Aus Ort und Zeit gefallen komponiert er 1931 sein letztes Klavierwerk, die d-Moll-Variationen op. 42 über die spanische Volksweise La Folía, das pianistische Schlusswort des „letzten Romantikers“ Rachmaninow – und zugleich eines seiner größten Meisterwerke.
Ein Hang zum Abgründigen und Dämonischen heftet Franz Liszt, ganz nach seinem großen Idol des „Teufelsgeigers“ Niccolò Paganini, ein Leben lang an. Und so scheut er selbst als frommer Christenmensch nicht davor zurück, mit seiner Fantasia quasi Sonata, vollendet im Jahr 1856, seine Vision des Fegefeuers zu vertonen. Und das ‚Après une lecture de Dante‘, sprich: nachdem er die ‚Divina Commedia‘– die „Göttliche Komödie“ von Dante Alighieri aus dem Jahr 1321 gelesen hat. Insbesondere der erste Teil, Inferno, scheint sich bei Liszt besonders „eingebrannt“ zu haben. Für sein feuriges, als „Dante-Sonate“ bekanntes Werk erwählt er die Tonart d-Moll und beschließt das makabre Tastentoben – im Gegensatz zu Bachs Chaconne und Rachmaninows Corelli-Variationen – in triumphalem D-Dur.
Sergej Prokofjews kompositorischer Stil wandelt sich, im Gegensatz zu seinem Landsmann Rachmaninow, im Einklang mit seiner Zeit: während er mit seiner ersten Klaviersonate op. 1 in f-Moll einen ersten tiefen musikalischen Fußabdruck mit hochromantischer Dramatik hinterlässt, findet der junge Prokofjew schon im Zuge seiner bissigen, ironischen zweiten Sonate op. 14 in d-Moll zu seinem charakteristischen Stil, der im Englischen so treffend als ‚wrong note romanticism‘ – in etwa „Falsche-Töne-Romantizismus“ bezeichnet wird. Auch im Kontext dieses Werkes finden wir das Motiv des Verlusts wieder: Ein Jahr nach der Vollendung der Sonate im Jahr 1912 nimmt sich Maximilian Schmidthof, Prokofjews enger Freund und Kommilitone am St. Petersburger Konservatorium, das Leben. Bevor er die Sonate am 5. Februar 1914 in Moskau selbst zur Uraufführung bringt, widmet Prokofjew sie ihm im Gedenken.
Quelle: Veranstalter – Irrtümer und Änderungen vorbehalten
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